Magirus on tour

Der Tomorr schläft nie – Albanien Teil 5

März 2021

Mit neuem albanischem Haarschnitt (3.60 CHF) möchte André losfahren, doch der Magirus scheint noch nicht bereit zu sein. Der Riss in der Scheibe breitete sich trotz schwedischer Reparatur und 6 Monaten Stillstand über Nacht um weitere 5cm aus. André schnappt sich kurzerhand die Bohrmaschine und einen kleinen Dremelaufsatz und stoppt den Riss mit einem kleinen Loch und Scheibenkleber. Um es vorweg zu nehmen: Der Riss ist bisher nicht mehr weiter gewachsen.

Mit etwas Verspätung geht es dann doch los. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist Autobahn fahren in Albanien ein echtes Erlebnis. Schon vor Tirana konnte man direkt von der Autobahn zum Reifenhändler oder Autoservice abbiegen. Nach Tirana war die Autobahn eher nach westlichem Vorbild mit Leitplanken gesichert. Das hindert die Albaner jedoch nicht daran, an der Leitplanke ihren Waren zum Verkauf anzubieten. Man hält halt einfach auf dem Pannenstreifen an, um getrocknete Feigen oder frische Früchte zu kaufen. Die Freude über den schönen Strassenbelag währt nicht sehr lange, denn unsere Abkürzung nach der Autobahn erweist sich nicht unbedingt als zeitsparend… Dafür kommen wir in den Genuss von alten Ölförderungsanlagen und strukturiertem, kommerziellem Gemüseanbau. Im Norden des Landes gab es eher Kleingärten als grosse Landwirtschaftsbetriebe.

In Berat, auch «Stadt der tausend Fenster» genannt, machen wir Mittagsrast und schauen uns die Altstadt an. Diese wurde 2008 zum UNESCO-Welterbe ernannt, da in drei Quartieren Neubauten verboten sind. Die Häuser stammen aus der Zeit des osmanischen Reiches und die vielen Moscheen und Kirchen sind ein gutes Beispiel für die friedliche Koexistenz des Islams und des Christentums. Wer die Stadt aus der Vogelperspektive betrachten möchte, kann auf einer steilen Strasse den Burghügel erklimmen. Dort gibt es ebenfalls viele, teilweise restaurierte Überreste der alten Festung zu bestaunen, unter anderen alte Kirchen und Moscheen, eine Zisterne und die alte Festungsmauer.

Um Carole’s Bewegungsdrang zu befriedigen, planen wir eine Wanderung. Da es in der Gegend nicht viele Wanderwege gibt bzw. sie auf der Karte nicht eingezeichnet sind, fällt die Wahl schnell auf den Tomorr. Dies ist einer der höchsten Berge im südlichen Albanien (2415 m. ü. M.) und der heilige Berg der Bektaschi, ein muslimischer Orden. Auf der Südspitze des Berges liegt das Grab Abbas Ali’s, den die Bektaschi mit einem grossen Opferfest Ende August, bei dem Lämmer geopfert werden, verehren. Bis zu 10’000 Pilger fahren dann auf der Strasse zur Bergspitze hoch. Die Strasse zum Fusse des Tomorrs ist zuerst ausgewaschen und uneben, wird dann aber weiter oben zum «Marmorabbau-Highway». In dem Gebiet wird mehr oder weniger legal Marmor abgebaut und dieser muss irgendwie abtransportiert werden.

Am Fusse angekommen, zeigt sich, dass immer noch viel Schnee liegt. Deshalb entscheiden wir uns für die Schneeschuhe. Zwei albanische Autos (eines mit Lämmern auf der Pritsche) probieren es, müssen aber schon nach wenigen Metern wieder umdrehen und schenken uns zwei Dosen Bier als Wegzehrung. Im Gegensatz zu anderen Muslimen trinken die Bektaschi Alkohol, mit der folgenden Begründung: «Wenn wir die Trauben in Fässern lagern und Allah will, dass diese vergären und Alkohol bilden, können wir ja auch nichts dafür.» Mit den Schneeschuhen bereitet die Strasse keine Probleme, einzig der gegen oben zunehmende Wind ist ungemütlich kalt. Nach 900 Höhenmetern stehen wir auf dem Gipfel und können einen Blick in die kleine Moschee werfen. Jemand hat vergessen, die Türe zu schliessen und Abbas ist halb eingeschneit. Das Mittagessen halten wir aufgrund der Temperaturen eher kurz, doch plötzlich kommt die Sonne hervor und man hat einen traumhaften Ausblick. Runter geht es ruck zuck und zurück im LKW geniessen wir das kühle Bier.

Unser Dieselkocher zickt wieder mal rum, diesmal ist das Problem die Pumpe. Eine Ersatzpumpe haben wir nicht dabei, weshalb André fluchend die Pumpe auseinander nimmt und seine MacGyver-Fähigkeiten einsetzen muss. Der Fehler ist bald lokalisiert und mit einem Stück Klebeband können die Drähte wieder voneinander isoliert werden.

Der Fluss Osum, welcher durch Berat fliesst, hat weiter oben im Flusslauf über die Jahrtausende einen bis zu 80m tiefen Canyon im Kalkstein gebildet. Um uns dieses Naturwunder genauer anzuschauen, entladen wir die Bikes und fahren einmal rundherum. Neben wilder Natur gibt es auch alte Brücken, schöne Singletrails, bellende Hunde und Anzeichen von Tourismusbestrebungen. Am Abend probiert André je ein Stück Brot und Wurst in Fisch umzuwandeln, was leider nicht von Erfolg gekrönt ist. Vielleicht müsste er beim nächsten Mal auf die albanische Methode zurückgreifen und Dynamit verwenden…

Erkenntnisse

Kabelsalat


Die Albaner fahren gerne Mercedes. Wir haben unterwegs gezählt und hier ist unsere nicht-repräsentative Statistik dazu:

AutomarkeAnzahl
Mercedes43
VW13
Fiat6
Audi4
Ford, Opel, Toyotaje 3
BMW, Hyundai, Nissan, Peugeotje 2
Citroën, Dacia, Honda, Mitsubishi, Renaultje 1

Ist die Ladung zu lang, ist das nicht schlimm, denn die Armierungseisen sind dann bei Ankunft auf der Baustelle gleich schon entgratet.


Bei Abzweigungen, auch auf Fernverkehrsstrassen, gibt es oft sehr tiefe Geschwindigkeitsbeschränkungen. Es scheint uns jedoch, dass die Albaner diese Zahl mit der Anzahl Räder multiplizieren…


In Albanien fällt ab und zu der Strom aus (durften wir selber erleben). Damit auch ohne funktionierende Pumpe noch Wasser fliesst, hat so gut wie jedes Haus ein Wasserfass auf dem Dach.


Um die Stromausfälle zu überbrücken, hat jedes Geschäft, welches es sich leisten kann, einen Stromgenerator.


In Albanien wissen die Kinder noch, woher das Fleisch kommt.